SERIE
Von Roland Norget
Vor einer Hochzeit sind viele Formalitäten zu erledigen. Das war bei Anna von Cleve und Heinrich VIII vor 480 Jahren nicht anders. Natürlich ging es auch ums Geld
Greenwich Montag, 5. Januar 1540. Hektische Aktivität! Noch am Samstag hatte Chief Minister Thomas Cromwell die Gesandten des Herzoghofes, den Vizekanzler Heinrich Bars und den jülichschen Hofmeister Werner von Hochsteden, einbestellt. Beide sollten beschwören, Lady Anna und Franz von Lothringen seien rechtsgültig entlobt. Ein Ultimatum: ohne Schwur keine Trauung!
Der mündliche Schwur erfolgte vor den Mitgliedern des Staatsrates (’Privy Council’). Das reichte jedoch nicht! Die Gesandten wurden verdonnert, ein entsprechendes Schriftstück zu verfassen. Darin hatten sie zuzusichern, das Dokument der Entlobung aus 1535 wie auch den zu Grunde liegenden Verlobungsvertrag aus 1527 innerhalb von drei Monaten vorzulegen.
In ihrer Bredouille baten Olisleger und Hochsteden um Zeit bis Sonntag und boten vorsorglich an, persönlich als Geiseln am Tudorhof zu bleiben, bis die Originaldokumente aus Düsseldorf vorlägen.
Im Beisein von Cromwell wurde tags darauf die schriftliche Versicherung an Eides statt von zwei Kanzleigehilfen notariell beglaubigt. Danach begab sich Cromwell mit Susanna Horenbout als Dolmetscherin zu Lady Anna.
Anna schwor in ihrer Muttersprache, sie sei absolut frei, und der Heirat mit Seiner Majestät stehe ihrerseits rein gar nichts im Wege!
Auch am heutigen Montag herrscht dicke Luft im Greenwich Palace. Der Staatsrat des Königs tagt erneut geheim und berät in kontroverser Diskussion, ob und wie es weiter gehen kann.
Die Crème de la Crème des Königreiches ist versammelt: die Hofministerialen Lordkanzler Audley of Walden, Chief Minister Baron Cromwell, Lord High Admiral Fitz William (Southampton) und Botschafter Dr. Wotton sowie die beiden Kirchenfürsten Erzbischof Cranmer (Canterbury) und Bischof Tunstall (Durham), die beiden Herzöge Howard (Norfolk) und Brandon (Suffolk) und weitere Höflinge.
Schließlich gibt der Staatsrat einstimmig grünes Licht für die Anbahnung der Trauung!
Daraufhin kehrt im Laufe des Tages langsam Ruhe im Palast ein. Cromwell hatte sich beim König angemeldet und erscheint in des Königs Repräsentationsräumen mit wochenlang vorbereiteten Pergament -“Tapeten“.
Dem Hauptdokument hängt das mächtige Kronsiegel (’Tudor Great Seal’) an. Es handelt sich insgesamt um drei, teils mit farbigen Miniaturen reich ausgeschmückte Heirats- und Schenkungsurkunden in Ausfertigungen für die begünstigte Braut und die clevischen Gesandten. Einer Urkunde hängt das Siegel des Herzogtums Lancaster an.
Zur Ausweglosigkeit, die Trauung kurz vor zwölf nicht mehr abblasen zu können, bemerkt der Souverän schicksalsergeben: „I put my neck into the Yoke!’“ („Ich beuge meinen Hals unters Ehejoch!“).
Schwermütig unterzeichnet Heinrich mit dennoch schwungvoller Schrift „Henry VIII“ alle Dokumente. Im Palast soll man das Echo des Steines, der Cromwell vom Herzen fiel, hat plumpsen hören.
Die Unterschriften des Königs auf den Schenkungsurkunden sind noch nicht getrocknet, als für den morgigen Dreikönigstag die Trauungszeremonie angekündigt wird. Schließlich scharren die Hochzeitsgäste schon mit den Hufen.
Wo denn der Herzog, Annas Bruder Wilhelm, bleibe, wollte Heinrich noch wissen? Der glänze durch Abwesenheit. Kanzler Johann von Gogreve, Erbhofmeister Wilhelm von Harff zu Alsdorf und Propst Johann von Vlatten seien angereist.
Und von Annas Familie? Einige der engsten Verwandten der Braut, darunter der Knappe Franz, 14-jähriger Sprößling von Lady Annas Patentante Anna von Cleve, Gräfin von Waldeck-Eisenberg.
Wider Erwarten wendet sich plötzlich das Blatt der Ungewissheit! Lady Anna erhält die Einladung, Seine Majestät in die „Chapel Royal“ des Palastes zur Gesangsmesse („Evensong“) am „Epiphany Eve“, dem Abend vor dem Dreikönigstag, zu begleiten.
Nach der Messe folgt unerwartet und zur Verblüffung von Anna und ihren Gesandten der hochoffizielle, zeremonielle Akt der Überreichung der Schenkungsurkunden. Lady Anna und die Gesandten staunen nicht schlecht über die kunstvoll verzierten Papiere.
Der „Brautschatz“ für die neue Königin fällt wahrlich üppig aus. Alle zeigen sich hochzufrieden und dankbar für die großzügige Geste des Königs.
In den drei Urkunden sind Königin Anna jährliche, lebenslang gültige Einnahmen garantiert. Die Einnahmen fließen aus einzeln benannten, über das Königreich verstreut gelegenen Immobilien, die größtenteils der früheren Königin Jane Seymour gehört hatten.
Die Einkünfte valutieren in der damals für Vermögenswerte üblichen, englischen Verrechnungseinheit „mark“ mit insgesamt 5.016 mark. Das entspricht 3.346 £ (pounds) oder in Goldgulden 20.000 rh fl (rheinische Floren).
Für den Fall des Todes von König Heinrich ohne gemeinsame Nachkommen und Rückkehr seiner Witwe in ihre Heimat ist eine jährliche Leibrente in Höhe von 3.750 mark (15.000 rh fl) oder eine Kapitalabfindung über 150.000 rh fl gesondert garantiert. Auch verzichtet der König auf Annas Mitgift und erlässt Herzog Wilhelm 100.000 rh fl.
Annas Trauung am morgigen Dreikönigstag scheint nichts mehr im Wege zu stehen. Doch: Die letzte der zwölf „Rau(ch)nächte“ tangiert die Hochzeitsnacht an „Epiphany“ genannt „Twelfth Night“! Wegen des Brauchs der Geisteraustreibung und -beschwörung sind Trauungen tabu. Das fehlte noch: Ein vermeintlich „verhexter“ und seiner Manneskraft beraubter Ehemann verketzert Queen Anna! Warnt denn niemand die Braut..?
Beschreibung der Schenkungsurkunde
Zwei verbundene Pergamentblätter mit Kronsiegel „Tudor Great Seal“, großes, rundes Kronsiegel mit Thronmotiv (r) und Rittermotiv mit Jagdhund (v), Siegel-Umschrift: „HENRICUS OCTAVUS DEI GRATIA ANGLIAE ET FRANCIE REX FIDEI DEFENSOR ET DOMINUS HIBERNIE“ an gedrehtem, grün-weißen Seidenband, Initialen: H(enricus), O(ctavus), D(ei), A(nglie), F(rancie), R(ex), F(idei),Spruchband „VIVAT REX“, Königsmotto „DIEU ET MON DROIT“, Wappenschild mit frz. Lilien- und engl. Löwenmotiven,Motto des Hosenbandordens: „HONI SOIT QUI MAL Y PENSE“, Tiermotive: Löwe (England) und Drache (London),Tudorrose, Gartenblüten und -blätter, Ranken mit Spruchbändern („dieu et mon droit“ / „une roy – une loi“).
Künstler: Tudorhof-Werkstatt (u. a. Lucas Horenbout) zugeschrieben, November 1539 bis Januar 1540.
Quelle: NRZ, Roland Norget, 01.02.2020
In der Serie erschienen:
Anna von Cleve: Freudensalut für die neue Königin
Anna von Cleve: Die Brautreise
Anna von Cleve: “Blitz-Treffen” mit Folgen