Die Moral der Menschenrechte
Anacharsis Cloots’ aktuelles Vermächtnis
Bernd Schminnes
Schwere Rechtsverletzungen, die früher unter den Schlagworten nationalsozialistische Verbrechen, Judenverfolgung, Verfolgung von Gewerkschaftlern in der Dritten Welt, Gewalttaten von Militärdiktaturen thematisiert wurden, werden heute als Verbrechen gegen die Menschlichkeit angesehen und sind so Teil des Menschenrechtsdiskurses geworden. Der aus Kleve gebürtige Anacharsis Cloots war bereits am Ende des 18. Jahrhunderts einer der aktivsten Verfechter der universellen Gültigkeit der Menschenrechte, welche die Befreiung der intellektuell, politisch und sozial Unmündigen bewirken sollten. Dafür gebührt ihm unsere ehrende Erinnerung.
“Die Menschenrechte waren für ihn ein Beleg für die Einsicht und die schöpferische Kraft frei denkender Menschen” –
Bernd Schminnes über Cloots
Um Cloots’ Verdienste angemessen zu würdigen, muss daran erinnert werden, dass alle bisher veröffentlichten Menschenrechtserklärungen epochale Wendepunkte der Geschichte der Moderne markieren: 1776 in Nordamerika und 1789 in Frankreich wurden Menschenrechte rechtlich kodifiziert, die die Grundlage einer zukünftigen Verfassung bilden sollten. Diese sollte eine Gesellschaft von freien und vor dem Gesetz gleichen Bürgern garantieren, die von den Zwängen der ständischen und der absolutistischen Herrschaft befreit waren. 1948 verabschiedeten die Vereinten Nationen vor dem Hintergrund der Barbarei der nationalsozialistischen Herrschaft und des Zweiten Weltkrieges die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“. Auf diesen Normen, so verpflichteten sich die unterzeichnenden Staaten, wollten sie das Zusammenleben ihrer Bürgerinnen und Bürger gründen.
Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte – Gemälde von Jean Jacques Francois Le Barbier, um 1789.
Vision einer gerechten Gesellschaft
Anacharsis Cloots ist ein wichtiger und in Frankreich anerkannter Zeitzeuge für die Bedeutung der französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789. Sie ist vor allem von der Vision einer gerechten Gesellschaft von Freien und rechtlich Gleichen geprägt, die ihre Anziehungskraft und ihren moralischen Anspruch selbst für unsere heutige Gesellschaft noch nicht verloren hat. In Cloots’ berühmter Rede zum Föderationsfest von 1790 sowie in seinen praktisch philosophischen Schriften von 1792 und 1793 begründete er, dass die Menschenrechte nicht nur das Fundament einer modernen bürgerlichen Gesellschaft in Frankreich, sondern auch die Grundlage für das Zusammenleben freier Menschen auf der ganzen Welt seien. Zugleich waren die Menschenrechte für ihn ein Beleg für die Einsicht und die schöpferische Kraft von frei denkenden Menschen.
Universelle Menschenrechte heute
Diese nationale Grenzen überschreitende Bedeutung machte die Menschenrechte für Cloots zugleich zur Basis einer öffentlichen Moral im Sinne eines politischen Imperativs: Gestaltet die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse auf der Erde so, dass dies in Einklang steht mit den Menschenrechten! Es ist Teil unserer Geschichte, dass die Aktualität von Cloots’ Konzeption der universellen Gültigkeit der Menschenrechte nach wie vor ungebrochen ist. Dabei stehen die Menschenrechte in unmittelbarem Zusammenhang mit den Vorstellungen von republikanischer Verfassung, Gewaltenteilung, Volkssouveränität sowie Meinungs- und Pressefreiheit. Seine Philosophie verpflichtet uns, die Menschen als Gleichberechtigte der einen Welt anzusehen, und die Würde eines jeden in allen Handlungen zu bewahren, egal wo dieser auf unserem Planeten lebt. Schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit – wie Genozid, Folter oder Verschwindenlassen sowie die im Zusammenhang mit der Globalisierung einhergehenden Verbrechen der Ausbeutung und der Produktion von lebensunwürdigen Zuständen – müssen so unabhängig von Tatort und Staatsangehörigkeit der Täter weltweit kritisiert und strafrechtlich verfolgbar werden (Weltrechtsprinzip).
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Dieser Artikel erschien zuerst im Lokalteil Kleve der NRZ vom 22.03.2019.
Der Autor Dr. Bernd Schminnes ist Historiker und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Cloots. Er hat 1988 im Museum Haus Koekkoek eine Ausstellung zu Cloots kuratiert und einen Katalog herausgegeben.
Jüngste Veröffentlichung: Bernd Schminnes, “Wenn in irgendeinem Teil [der Erde] ein Sklave existiert, … ist meine Freiheit nicht vollständig, …” Anacharsis Cloots und die universelle Gültigkeit der Menschenrechte, Duisburg-Essen 2017, 99 Seiten. Erschienen in der Reihe “Xantener Vorträge zur Geschichte des Niederrheins”.
Titelbild: Anacharsis Cloots, Wikipedia, 25.03.2019
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